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Emmaus und die sexuellen Übergriffe des Abbé Pierre

Die Drehbuchautorin Alice Géraud und der Regisseur Benoît Bringe werden in den kommenden drei Jahren ein Dokumentarfilmserienprojekt zu den sexuellen Übergriffen von Abbé Pierre für HBO Max und France TV erstellen. Emmaus International, Emmaus Frankreich und die Stiftung für Wohnen haben beschlossen das Filmprojekt tatkräftig zu unterstützen.

Hier das Exposé zu der Dokumentarfilmserie:

Die Enthüllungen um Abbé Pierre haben in den letzten Monaten eine intensive Medienberichterstattung erfahren und zu zahlreichen Zeugenaussagen, Untersuchungen, Interviews und neuen Erkenntnissen geführt. Seit die Anschuldigungen im Juli 2024 öffentlich wurden und in ganz Frankreich für Aufsehen sorgten, ist der Skandal zum Gesprächsthema an französischen Esstischen geworden und löst Schock, Skepsis, Wut und mitunter hitzige Debatten aus.

Die Umstände dieses Falls sind einzigartig. Die Hauptfigur war der moralische Kompass einer ganzen Nation, die jüngsten Enthüllungen und die von der Bewegung, die er selbst gegründet hatte, eingeleiteten Ermittlungen – all diese Elemente machen diese Krise einzigartig. Diese Ereignisse verdienen daher eine präzise, ​​gründliche und vor allem neue Betrachtungsweise.
Wir möchten eine Dokumentarserie produzieren, die über die bloßen Fakten des Skandals hinausgeht und all seine Dimensionen und Folgen analysiert. Sie wird sich sowohl mit der Gegenwart als auch mit der Zukunft auseinandersetzen. Sie wird nicht nur die Fakten über Abbé Pierre und seine Verbrechen schildern, sondern uns auch dazu einladen, uns gemeinsam zu fragen, wie wir die Zukunft verändern können: Was können wir aus dem Geschehenen lernen? Wie können wir uns erholen? Wie können die Opfer das Erlittene verarbeiten? Welche Verantwortung trägt jeder Einzelne von uns? Und schließlich: Wie können wir ein neues Kapitel in der Geschichte von Emmaus und der gemeinnützigen Organisationen im Allgemeinen schreiben?

Diese Dokumentarserie, die eine nüchterne, herausfordernde und zutiefst menschliche Wirkung entfalten wird, ist Teil eines gemeinsamen, ethischen Aufarbeitungsprozesses. Sie entsteht nicht im Gegensatz zu, sondern gemeinsam mit den Menschen, die jahrzehntelang dazu beigetragen haben, die Ideale von Emmaus zu verwirklichen.

Die Geschichte von Emmaus ist eine Geschichte der Utopie, einer funktionierenden Utopie. Aus einem kühnen Plan, der Ausgeschlossene, Nutzlose und von der Gesellschaft Verbannte zusammenbrachte, entstand ein Vorbild – ein Gigant unter den sozialen Organisationen des Dritten Sektors in Frankreich und international. Wir wissen um die verheerenden Folgen, die eine Krise wie diese für eine solche Bewegung haben kann: ein geschwächtes Berufungsgefühl, schwindendes öffentliches Vertrauen, weniger Spenden, erneutes Leid für die Opfer und die Infragestellung jahrzehntelanger Arbeit engagierter Frauen und Männer. Wir halten es in dieser Zeit für entscheidend, nicht nur die Fakten darzulegen, sondern auch zu zeigen, wie die Institutionen sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Es ist eine Geschichte von Verantwortung und Wahrheit, aber auch von Menschlichkeit.

Der Schwerpunkt der Reihe liegt darauf, wie Emmaus und die angeschlossenen Organisationen die Krise intern bewältigten, indem sie einen Ansatz wählten, der sich radikal von der üblichen Vorgehensweise im Umgang mit Fällen von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt unterschied. Als wichtigen Teil dieser Selbstreflexion möchten wir die Wege der Betroffenen nachzeichnen – vom ersten Schock der Enthüllungen über ihre ersten Gedanken bis hin zu ihren Dilemmata und möglichen Erkenntnissen. Ziel dieses Projekts ist es nicht, jemanden zu verurteilen oder zu diskreditieren, sondern vielmehr zu untersuchen, warum Menschen schwiegen und wie bestimmte Wahrheiten verborgen bleiben konnten, und Fragen nach den kulturellen und institutionellen Mechanismen aufzuwerfen, die diese Situation ermöglichten.
Fragen wie:
Was hätte ich an seiner Stelle getan? Was soll jetzt mit Abbé Plerre geschehen? Was ist mit ihm als Person, seinem Vermächtnis? Sollten wir ihn gänzlich aus unserem kollektiven Gedächtnis tilgen? Sollten wir ihn nur mit seinen Verbrechen in Verbindung bringen und riskieren, die Geschichte von Emmaus auszulöschen?

Auch andere Sprecher kommen zu Wort: Die Opfer erhalten selbstverständlich die ihnen zustehende Gelegenheit, sich zu äußern, und sind ein integraler Bestandteil unserer Geschichte. Wir werden außerdem Mitglieder der katholischen Kirche, Regierungsvertreter und weitere Personen interviewen.

Ziel dieser Dokumentarfilmreihe ist es nicht, vergangene Vergehen im Lichte unserer modernen, durch die #MeToo-Bewegung von 2017 geprägten Perspektive neu zu beleuchten. Vielmehr möchte sie die Art und Weise hinterfragen, wie diese Themen in der Vergangenheit diskutiert wurden. Insbesondere möchten wir die Traditionen und Gebräuche einer bestimmten Zeit beleuchten, ihren Sprachgebrauch und ihre Sicht auf die Opfer und sexuelle Gewalt untersuchen.
Wir sind überzeugt, dass die Einbindung von vielen in dieses Projekt, auch in die Vorbereitungen, in vielerlei Hinsicht von Vorteil sein wird. Zum einen ermöglicht sie uns, die Geschichte der Krise der Bewegung aus männlicher und weiblicher Perspektive zu erzählen. Zum anderen hilft sie uns, die gegensätzliche Sichtweise zu überwinden, die den Diskurs über die Enthüllungen weiterhin dominiert: Emmaus auf der einen Seite und die Opfer von Abbé Pierre auf der anderen.

Unser tiefster Wunsch ist es, diese Dokumentation zu einem Gegenstand gesellschaftlicher Debatten zu machen und an einem gemeinsamen Prozess der Selbstreflexion teilzunehmen, von dem letztendlich niemand ausgenommen ist.

Kurz gesagt: Wir wollen diese Krise zum Beginn einer neuen Ära für uns alle machen.


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#^ Erklärung deutscher Emmausgruppen Thema: aktuelle Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen durch Abbé Pierre
https://emmaus-koeln.de/articles/info/dbdfd654-83ec-4c29-a910-5d7fa280527e